Wie Kinder lernen

Wie lernen Kinder und was brauchen sie von uns Erwachsenen?

  • Soziale Eingebundenheit
    Enge Zwischenmenschliche Bindungen und gute Beziehungen
  • Autonomieerleben
    Freie Bestimmung und Steuerung des eigenen Handelns
    Selbstbestimmte Interaktion mit der Umwelt
  • Kompetenzerleben
    Aufgaben aus eigener Kraft und durch eine effektive Interaktion mit der Umwelt zu bewältigen

Wie Kinder lernen und was Remo H. Largo dazu meint:

  • Nur wenn sich ein Kind körperlich wohl fühlt, kann es sich seinen Möglichkeiten entsprechend entwickeln.
  • Das Kind hat einen angeborenen Drang, seine soziale und seine materielle Umwelt begreifen zu wollen. Die treibenden Kräfte der Entwicklung sind Neugier und Eigenaktivität.
  • In jeder Entwicklungsperiode reifen bestimmte Fähigkeiten heran, die sich das Kind durch konkrete Erfahrungen aneignet.
  • Interessen und Eigenaktivität sind in jedem Alter entwicklungs-spezifisch: Das Kind sucht sich aus der Vielzahl möglicher Erfahrungen diejenigen heraus, die seinem Entwicklungsstand entsprechen.
  • Der Sinn des kindlichen Lernens liegt nicht im Endprodukt, sondern im Lernprozess selbst. Umwege, Fehlschläge und Enttäuschungen gehören ebenso zur Lernerfahrung wie das Gelingen.
  • Sinnvolles Lernen zeichnet sich durch Eigenkontrolle und Selbstbestimmung aus.
  • Fähigkeiten können durch Üben nicht hervorgerufen, sondern nur verinnerlicht und Differenziert werden. Üben besteht nicht aus stereotypen Wiederholungen, sondern in einem Anpassen der neu erworbenen Fähigkeiten an unterschiedliche äußere Bedingungen, sowie in der Integration in vorhandene Fähigkeiten.
  • Die Aufgaben der Eltern und der Bezugspersonen sind: Die Umwelt für das Kind so zu gestalten, dass es entwicklungs-spezifische Erfahrungen machen kann; dem Kind ein Vorbild sein; das Kind in denjenigen Bereichen zu unterrichten, für die es Interesse zeigt.

Wie Kinder lernen und was der Erziehungswissenschaftler Gerd Schäfer dazu meint:

  • Das Kind möchte mit allen Sinnen die Welt entdecken und braucht Menschen dazu, die ihm Resonanz geben, die es so annehmen wie es ist (Erfahrungslernen).
  • Kinder sollen schöpferisch und weitestgehend selbstbestimmt lernen können.

Wie Kinder lernen und was Gerald Hüther, Neurobiologe dazu meint:

Das Kind kommt mit zwei wichtigen Erfahrungen zur Welt:

  • Der unendlichen Verbundenheit mit einem Menschen – der Mutter und der Möglichkeit sich dabei zu entwickeln.
  • Man muss einen Sinn darin sehen etwas zu lernen, ohne Motivation passiert im Gehirn gar nichts

Im Alltag des Lernens bedeutet das Konkret:

  • Gute Beobachtung
    Ressourcenorientierter Blick
    Akzeptanz von Individualität und Vielfalt
  • Lernanregende Umwelt
  • Resonanz durch Interesse und Beziehung
    nicht durch Lob und Tadel
  • Unsere Neugierde
    Unser Interesse an ihren Gedanken und Ideen
    (Auf eine Frage kommt keine Antwort sondern eine Frage)

Welche Kompetenzen der Erwachsenen braucht es dazu:

  • Fähigkeit zu improvisieren
  • Soziale Phantasie
  • Ambiguitätstoleranz
  • Intuition
  • Innehalten
  • Erfahrungslernen

Was für Erinnerungen haben wir an unser eigenes Lernen?

  • Wenn ich mich erinnere, in welchen Situationen habe ich etwas gelernt, was ich heute noch weiß?
  • Was haben „gute“ Lernerfahrungen gemeinsam und gibt es Gemeinsamkeiten bei „schlechten“ Lernerfahrungen?
  • Haben mein Interesse, meine Lust darauf oder meine Freude daran die Erfahrung beeinflusst?
  • Hat mich die Sinnhaftigkeit, die Persönlichkeit des Lehrenden oder einfach nur der Stolz beim Gelingen beeinflusst ?

Wie setzen wir das in der Aqua Kita um?

Viele Jahre der Beobachtung und Forschung bestätigen uns in unserem Bemühen als Erzieher weg von der Rolle des Animateurs hin zur Rolle des Begleiters beim Entdecken der Welt. Die Frage, wie kann ich das Kind unterstützen, dass es sein Vorhaben selbst durchführen kann hat eine höhere Priorität als etwas für das Kind zu tun und somit ist unser Bestreben die Situationen nicht nur lernanregend zu gestalten, sondern für die Kinder darin auch die Möglichkeit zu schaffen ihre sich selbst gestellten Aufgaben selbst erledigen zu können.

Bei unserem Themenabend hat Christiane Steine von der SOKE Ideen für positives Lernen vermittelt…

Mathematik spielen

Verständnis von mehr und weniger

Die Kinder der Krippe haben sich intensiv mit dem stapeln und sortieren von bunten Ringen beschäftigt. Sie haben ausprobiert, wie hoch ein Ring -Turm werden kann bevor er kippt, haben die Ringe nach Farben gestapelt und nachgesehen, welcher Turm in welcher Farbe am höchsten ist … einfarbige, zweifarbige und bunte Türme wurde gebaut!

Was für uns wie bloßer Spaß aussieht bedeutet für die Kinder das Erlernen von erstem mathematischem Denken – Strukturen und Gesetzmäßigkeiten erkennen und Dinge miteinander in Beziehung setzen sowie Mengenunterschiede grob abschätzen können. Das ist eine wichtige Voraussetzung für das Verständnis der Begriffe „mehr“ und „weniger“ und stellt die Grundlage für das spätere Rechnen dar.

Das abstrahierende und folgernde Denken entwickelt sich auf der Grundlage kognitiver Fähigkeiten, Eigenschaften von Objekten zu unterscheiden. Dieses Denken zeigt sich in der Begeisterung, mit der Kinder Dinge nach ihren verschiedenen Eigenschaften sammeln, sortieren und vergleichen.

Jedes Kind verfolgt sein eigenes Ordnungssystem, das sich an sehr unterschiedlichen Kriterien orientieren kann: Verwendungszweck, Formen (rund, eckig, gerade), Farben (von bunt nach grau) oder auch Gefühlen (von lustig nach langweilig).

Nach welchen Kriterien ordnet euer Kind?

Autonome Entwicklung

Wie gelingt es, dass sich Kinder im eigenen Rhythmus und mit den in ihnen angelegten Ressourcen möglichst frei entfalten können?

Viele Fragen die wir beim letzten Elternabend in die Runde bekamen werden in dem Artikel von Renate Delpin („Mit Kindern wachsen“, Januar 2011) leicht verständlich erklärt.

ENTWICKLUNG BRAUCHT ZEIT

Entwicklung lässt sich nicht beschleunigen, nicht erzwingen, zumindest nicht ohne dabei die Selbstwirksamkeit des Kindes einzuschränken oder zu behindern. Selbstwirksamkeit aber, die Erfahrung, mit den im Augenblick vorhandenen, eigenen Möglichkeiten zu handeln, zu gestalten, etwas umsetzen zu können, ist wesentlich, um im Einklang mit sich und mit den anderen zu sein und ein Gefühl der Sinnhaftigkeit zu erleben. Es gibt den bekannten und stimmigen Vergleich mit dem Wachstum der Pflanzen. An ihnen zu ziehen, um sie schneller zur Reife zu bringen, ist fatal.

ENTWICKLUNGSBEGLEITUNG DURCH ERWACHSENE

Emmi Pikler und Arno Stern haben in ihren Forschungen und in ihrer Arbeit, ihrem Leben mit Kindern, sehr genau wahrgenommen, in welcher Weise eine autonome Entwicklung stattfinden kann und welche Begleitung Kinder von Erwachsenen brauchen. Ihre Beobachtungen sollen deshalb hier beschrieben und zitiert werden.

Emmi Pikler beschäftigte sich vor allem mit der Bewegungsentwicklung im Säuglings-und Kleinkindalter und stellte fest, dass jeder Säugling über ein angeborenes Entfaltungspotential verfügt, das mit kleinen zeitlichen Ab­weichungen bei allen Kindern sehr ähnlich verläuft. In der Bewegungsentwicklung bedeutet das unter anderem, dass der Säugling vom Liegen auf dem Rücken über das Liegen auf dem Bauch und das Krabbeln zum Stehen kommt. Diese Ent-wicklung entwächst ihm gleichermaßen, ohne dass eine Unterstützung von außen notwendig wäre. Vielmehr verhält es sich so, dass „Hilfe“ diesen Prozess stört. Das Gefühl, autonom etwas erreicht zu haben, etwa das freie Stehen oder Sitzen, kann nicht ausreichend erlebt werden, wenn dabei „nachgeholfen“ wird, indem Kinder beispielsweise im Kindersessel, mit Polstern unterstützt, aufgesetzt werden oder wenn sie an der Hand hochgezogen und geführt werden. Solch ein Verhalten bewirkt im Erleben des Kindes auch eine zunehmende Abhängigkeit, die sich mehr und mehr verstärkt, wenn jegliche Hindernisse (etwa ein weiter weg liegendes Spielzeug oder ein am Boden liegender Baum­stamm) mit Hilfe der Erwachsenen überwunden werden.

LERNEN LERNEN

,,Dieser Prozess des Lernens spielt eine sehr wichtige Rol­le im ganzen späteren Leben des Menschen. Durch diese Art der Entwicklung gelangt der Säugling selbständig, mit geduldiger, ausdauernder Arbeit, mit Sammlung seiner ganzen Aufmerksamkeit zu seinem Können. Er erlernt also im Lauf seiner Bewegungsentwicklung nicht nur, sich auf den Bauch zu drehen, nicht nur das Rollen, Kriechen, Sitzen, Stehen und Gehen, sondern er lernt auch das Lernen. Er lernt, sich selbständig mit etwas zu beschäftigen, an etwas Interesse zu finden, zu probieren, zu experimentieren. Er lernt, Schwierigkeiten zu überwinden. Er lernt die Freude und die Zufriedenheit kennen, die der Erfolg – das Resultat seiner geduldigen, selbständigen Ausdauer – für ihn bedeutet.“ (Emmi Pikier)

IM MITTELPUNKT STEHEN

Auch ein ständiges In-den-Mittelpunkt-Stellen des Kindes und seiner gerade eben erworbenen Fähigkeiten behindert nicht nur die autonome Entfaltung. Das Kind verliert desgleichen seine Natürlichkeit und beginnt, sich am Beifall der anderen zu orientieren. Das Kind entfernt sich zunehmend von seinen eigenen Impulsen und Bedürfnissen hin zu denen der anderen.

WIR VERÄNDERN DEN FOCUS

,,Wir hindern das Kind, wenn wir es ermuntern, anspornen, auffordern, gewisse Bewegungen vorzuführen. Wenn wir seine einzelnen ‚Leistungen‘ vor ihm übertrieben anerkennen. ( . .) Die Aufmerksamkeit des Kindes wird abgelenkt von den Versuchen, von dem Experimentieren mit Bewegungen und wird stattdessen darauf gerichtet, dass das, was es macht, Publikumswirkung hat. ( . .) Das Kind wird auf diese Weise nicht das üben, was seiner Entwicklung, seinem jeweiligen Zustand entspricht, nicht das, was es selbst erfreut, sondern das, wovon es annimmt, dass es dem Erwachsenen gefällt.“ (Emmi Pikier)

DAS KIND BESPIELEN

Durch diesen geringer werdenden Kontakt zu sich selbst wird in weiterer Folge auch das freie Spiel schwie­riger oder unmöglich, vor allem dann, wenn das Kind zusätzlich häufig „bespielt“, ,,amüsiert“ und/oder mit Spielzeug überhäuft wurde. Normalerweise spielt ein Kind, auch schon der Säug­ling, über lange Zeiten mit allen möglichen einfachen Gegenständen, die gerade um es sind und widmet ihnen seine volle Aufmerksamkeit. Ebenso vertieft es sich über Monate und Jahre immer wieder in seine eigenen Bewegungen und Bewegungsmöglichkeiten. Dieses zufriedene Mit-sich-im-Einklang-Stehen wird jedoch gestört, wenn dem Kind, ohne auf seine momentane Befindlichkeit und sein Tun zu achten, ständig neue Eindrücke aufgedrängt werden, wenn es immer wieder umringt ist von über ihn hinweg sprechenden, auf es einredenden, es in den Mittelpunkt stellenden Erwachsenen.

INNERE ABKEHR

„Höchst bezeichnend für einen solchen Säugling ist, dass er mit der Zeit immer quengeliger wird, an den Erwachsenen krankhaft klebt. Nur die Erwachsenen interessieren ihn, aber auch nur insofern sie um ihn herum sind, von ihm reden, sich mit ihm beschäftigen. All dies löst beim Kind aber keine gleichmäßige, harmonische, dauernde, ruhige Freude und Zufriedenheit aus, vielmehr Unruhe, aufregenden Genuss. ( . .) Unausweichlich werden diese Eltern des Kindes überdrüssig, schon darum, weil das Kind – infolge des Benehmens der Eltern – gelangweilt, grantig, anmaßend geworden ist. ( . .) Es verliert die Natürlichkeit, die unbewusste Anmut. “ (Emmi Pikier)

BEOBACHTEN WAS STIMMIG IST

Wenn es also darum geht, die Entfaltung und das Wohlbefinden des Kindes zu ermöglichen, so muss der Erwachsene auf das achten, was dem Kind wirklich entspricht, beobachtend, wann es in eine Tätigkeit vertieft ist und keine Unterhaltung braucht und welche Art des Miteinanders stimmig ist. Und in den Momenten des Kontaktes, etwa bei Pflegesituationen, beim Stillen oder Füttern, ist es wesentlich, dass die Bezugsperson mit ihrer ganzen Aufmerksamkeit beim Kind ist, so dass ein authentischer Austausch entsteht. Dann kann sich das Kind, emotional „gesättigt“ und zufrieden, wieder seinem Spiel zuwenden.

ES BRAUCHT KEINE SHOW

,,Wir müssen das Kind nicht ‚immerfort unterhalten‘, ‚umtanzen‘, mit ,kindischem‘ Lispeln, mit schwärmerischem Entzücken überhäufen. Wir müssen unsere Kinder unsere Liebe fühlen lassen, indem wir sie gut versorgen. “ (Emmi Pikier)

KEINE BELEHRUNGEN

Diese wachsame Präsenz des Erwachsenen ist auch in der Kreativitätsentwicklung von Bedeutung. Das Kind verfügt über ein natürliches, angeborenes Potential, wie Arno Stern in seinen Forschungen erkannte, Prozesse, die bei allen Kindern in ähnlicher Weise geschehen.

Um dieser Beobachtung auf den Grund zu gehen, bereiste er verschiedenste Länder und Kulturkreise und stellte fest, dass überall gleiche Bildelemente zu sehen waren. Diese bei allen Kindern vorkommenden Komponenten nannte er Formulation.

Diese natürliche Entfaltung eines eigenen, differenzierten, mit der Selbstwirksamkeit des Kindes im Einklang stehenden Ausdrucks vollzieht sich aber nur dann, wenn es keine Belehrung gibt, kein Hineindrängen in Entwicklungsschritte, bei denen das Kind noch nicht angelangt ist.

Wenn das Kind seine ersten Kreise zu ziehen beginnt und später, wenn es seine inneren Welten auf Papier gestaltet, stehen das Bewundern und Staunen – und mehr noch das Verbessern, das Anleiten und Interpretieren (,,Du hast eine Sonne gemalt“ usw.) – seiner Kreativität im Wege.

Vielmehr geht es darum, als aufmerksamer Erwachsener dabei zu sein und dem Kind anzubieten (Papier, Stifte, Farben), was es für seine Gestaltungen braucht und auch, so wie es im Malort geschieht, darauf zu achten, dass die/der Malende „im Fluss“ bleiben kann, indem der Malortleiter herabrinnende Tropfen entfernt, die Reißnägel, mit denen das Papier befestigt ist, immer wieder versetzt, Farben nachfüllt, die Ordnung der Pinsel kontrolliert und die Klarheit der vorbereiteten Umgebung im Gesamten aufrechterhält.

So kann eine freie Spur entstehen, die fließt und in keinerlei Abhängigkeit von einem Betrachter hervorgebracht wird, denn das Wesentliche des Malortes liegt vor allem auch darin, dass die Kinder, aber auch malende Erwachsene, keinen Belehrungen und Kommentaren ausgesetzt sind. Andernfalls kann es zu Blockierungen, Verunsicherungen, zu einer Ausdrucksverarmung führen oder auch dazu, dass gar keine Kreativität mehr stattfindet.

,,Die reine Äußerung wird zu einem zweifelhaften Ergebnis verdorben. Das Kind erlebt nicht mehr ein Spiel, es spekuliert auf Erfolg. Was dabei verloren geht, ist unermesslich.“ (Arno Stern)

UNBEEINFLUSSTE SCHÖPFERISCHE PROZESSE

Erkennbar ist dies unter anderem daran, dass Kinder fragen: ,,Was soll ich malen? Ist das richtig so? Wie malt man dies oder jenes?“ Da beim Malen und Zeichen ähnliche innere Prozesse stattfinden wie beim Spielen, fragen Kinder normalerwei­se nicht danach, ob etwas richtig oder falsch sei, genauso wie sie im Rollenspiel nicht danach fragen würden, ob sie diese oder jene Figur „richtig“ gespielt haben. Wird die natürliche, unbeeinflusste Äußerung ermög­licht, dann stehen Können und Wollen im Einklang, der Zugang zum eigenen schöpferischen Prozess ist nicht un­terbrochen und das Kind kann das Malspiel erleben. Es breitet seine Welt mit den in ihm angelegten Requisiten auf dem Blatt aus – es gestaltet und entfaltet das Eigene.

,,Im Raum des Blattes entwachsen der Gebärde des Kindes Gebilde, die seine Geschöpfe sind. Das Kind ist mit jedem verbunden, so als seien sie lebendige Teile seines We­sens. Was sich im Raum des Blattes abspielt, geschieht in Wirklichkeit im Wesen des Kindes.“ (Arno Stern)

Das Malen als „Malspiel“ erleben zu können und sich frei von den Erwartungen anderer entwickeln zu dürfen bedeutet, sich selbst im eigenen Rhythmus aufzubauen. Es wird auf diese Weise ein innerer Schatz angelegt, der als lebendige Ressource erhalten und verfügbar bleibt.

Sowohl Emmi Pikler als auch Arno Stern haben in ihrer jahrelangen Begleitung von Kindern, wenn auch in unterschiedlichen Bereichen, etwas sehr Wesentliches erleben und erfahren können: Kinder brauchen uns Erwachsene nicht als jemanden, der ihre Entwicklung vorantreibt, sondern als Menschen, die darauf vertrauen, dass sie sich aus sich selbst heraus entfalten können.

Literaturhinweise:
Emmi Pikler: Friedliche Babys – zufriedene Mütter (Herder spektrum)
Emmi Pikier u. a.: Miteinander vertraut werden (Arbor Verlag)
Arno Stern: Das Malspiel und die natürliche Spur (Drachen Verlag)
Arno Stern: Der Malort (Daimon Verlag)

Videobeitrag:
Formulation und Spur, Arno Stern

Wie unser Essen entsteht

Karotten von A bis Z

Der Impuls zur Projektarbeit mit Krippenkindern unter dem Thema „gesunde Ernährung in der Kita“ war meine mündliche Prüfung für die berufsbegleitende Weiterbildung zum Fachwirt im Gesundheits- und Sozialwesen. Da ich selbst gerne mit Pflanzen arbeite und mir Projektarbeit mit Kindern Spaß macht, war die Planung schnell gemacht. Es braucht Wannen, Erde, Kräuter- und Gemüsesamen.
Außerdem fielen in den Bereich der Planung die Suche nach dem geeigneten Standort im Hinblick auf Schatten und Licht, die geeignete Größe der Wannen damit Kräuter und Gemüse ausreichend Platz zum Wachsen haben, die Überlegung welche Pflanzen kombinierbar sind (nicht jedes Kraut versteht sich miteinander, ähnlich wie bei uns Menschen), die Überlegung wie viel Wasser die Kräuter und das Gemüse benötigen genauso wie der Umfang der Pflege (täglich, wöchentlich, regelmäßig …) und schließlich wie setzen wir die Kräuter und das Gemüse ein.

Die Durchführung

Im März startete ich mit dem Projekt. Im Essbereich unserer Krippe stellte ich die beiden Wannen auf. Die waren natürlich erst einmal spannend und wurden direkt als Wanne zum Reinsetzen genutzt.
Nachdem ich einigen neugierigen Kindern erzählte was ich vor habe und nachfragte wer Lust hätte, die Erde mit in die Wanne zu füllen, war im Prinzip für so viel Interesse viel zu wenig Erde da. Eine weitere Herausforderung war das Alter der Kinder. Die Erde traf nämlich bei den jüngeren Kindern vieles und alles, außer die Wannen. Aber die Kinder hatten Spaß. Bei den älteren Kindern merkte ich eher, dass sie aktiv zuhörten und auch nachfragten ob es so richtig sei wie sie die Erde in die Wannen schütteten und sogar Erde die am Boden landete, wieder aufkehrten um sie dann in die Wanne zu schütten.
Zwei der älteren Kinder zeigten den jüngeren Kindern immer wieder wo die Erde eigentlich hin sollte. Sie steigerten sich so hinein, dass sie auch energischer in ihrem Tonfall gegenüber den jüngeren Kindern wurden: „ nein nicht da hin, da gehört die Erde hin, da kommen die Karotten rein!“ „ du sollst die jetzt da rein machen!“
Die jüngeren Kinder verließen nach kurzer Zeit den Bereich, die älteren Kinder blieben.
Nach dem die Erde in den Wannen war, trugen wir sie hinaus vor das Haus wo wir sie platzierten. Die weitere Pflege der Pflanzen erfolgte durch die älteren Kindern.

Samen und Körner

Ich zeigte den Kindern die Samen und die Packung auf der abgebildet war, was dann später einmal wächst. Die Irritation der Kinder war in ihrem Gesicht zu sehen, als in der Packung z. B. keine Karotten, kein Basilikum, Thymian oder Petersilie wie auf der Abbildung zu sehen enthalten waren. Samen und Körner hmmmm… und nun?
Ich stellte den Kindern die Frage, ob sie eine Idee haben wie aus den Körnern jetzt Karotten und Kräuter werden?

Die besten Antworten hier zusammen gefasst:
„ da muss man schütteln und dann verzaubern die sich“
„ einfach so machen (reinschütten in die Erde) und dann kakka“
„ gießen und dann wachsen die ganz groß“
„ das geht gar nicht“
„ hm ich weis nicht, ich glaub ich weis, ich weis, man muss die anpusten und dann
kommen die raus und meine Mama kommt um drei!“
„ nein, das sind keine Karotten, Karotten sind orange“
„ die Körner sind für Vögel“

Es war gar nicht so einfach den Kindern durch Erzählen vorab irgendwie begreiflich zu machen, dass aus diesen Samen die Karotten und Kräuter wachsen, wenn wir sie gut pflegen. Ich sagte ihnen, was es alles braucht damit das auch gelingt:
Sonne, Wärme, Wasser, Schatten, Dunkelheit, Helligkeit und Zeit.
Generell fiel mir auf, dass ich im Vergleich zu meinen Erfahrungen mit Projekten im Kindergarten viel mehr agieren musste, z. B. dass die Kinder die Samen nicht willkürlich streuen oder dass die Samen für die Karotten in einem Abstand gesetzt werden um überhaupt ein Wachstum zu ermöglichen. Ich habe viel häufiger an die Stellen gezeigt, an welchen sie die Samen streuen können. Also einfach mal „machen lassen“ war es weniger. Dennoch hatte ich den Eindruck, dass die Kinder mit Begeisterung dabei waren. Ein Junge setzte sogar jedes Samenkorn einzeln in die Erde und streute etwas Erde darüber. Schließlich waren alle Körner in den Beeten und ab da hieß es „abwarten“ und es dauerte wirklich lange. Zwischenzeitlich gab es ein paar richtig kalte Tage verbunden mit der Sorge, dass die Samen erfroren seien. Doch Anfang Mai ließen sich die ersten Spitzen blicken und die Kinder, die beim Ansäen dabei gewesen waren, haben mich darauf angesprochen: „da schaut ein grün raus.“
Von da an gingen wir meistens nachmittags je nach Wetterlage raus, um nachzusehen wie sich die Triebe entwickelten. Die Kindern waren mit Messbechern ausgestattet. Der Wasseranschluss war direkt um die Ecke. So konnten wir vor Ort das Wasser zapfen und direkt im Anschluss die Pflanzen gießen.
Ab Mitte Mai ging es zusehends schneller mit dem Wachstum der Pflanzen. Das freute mich, weil es zum Mitverfolgen des Prozesses für die Kinder leichter wurde.

Die erste Karotte

Ende Juni zog ein Kind die erste Karotte aus der Erde. Wir stellten fest, dass sie noch mehr Zeit brauchen. Der eigentliche Erntezeitpunkt war aber auch erst Anfang Juli eingetragen. Dennoch erkannte man eine zierliche hellorangene Wurzel, die einer Karotte ähnelte und die Kinder hatten zum ersten Mal einen Bezug zwischen Samenkorn und dem Ergebnis. Mit dem Ziehen der ersten Karottenwurzel wuchs die Neugierde jeden Tag mehr. Ein Kind fragte mich morgens: „sind die Karotten schon reif?“ Ich sagte, dass wir nachsehen können. Wir gingen hinaus zum Beet und ich zeigte dem Kind wie es die Karotte am besten ziehen kann. Wieder wurde mir bewusst, dass ich viel durch Worte erklärte, wobei das eigentliche Lernen durch das Erleben stattfindet. Zeitgleich war ich erstaunt, wie das Kind die Handkoordination drehen und gleichzeitig ziehen ohne Probleme meisterte. Zum Vorschein kam zwar wieder eine kleine orange Wurzel, jedoch wesentlich grösser, ausgeprägter und sie hatte noch mehr Ähnlichkeit mit einer Karotte.
Ich stellte während der letzten Wochen fest, dass die Kräuter etwas uninteressanter waren. Sie wurden von den Kindern zwar gegossen aber die Begeisterung war eindeutig für die Karotten da.

Die Ernte

Wochen vergingen bis zum vergangenen Montag den 15.07.2019.
Eigentlich war es eine spontane Idee, dass ich ein Kind fragte ob es Lust hat mich zum Karottenbeet zu begleiten. Das Kind ließ sofort sein Spielzeug fallen und rannte vom Essbereich in den Küchenbereich, direkt in die Garderobe. Es zog seine Socken aus und legte diese sogar noch ordentlich in sein Fach und stellte sich bereit an die Eingangstüre. Ich sagte, dass ich eine Schüssel mitnehmen muss falls die Karotten schon reif sind. Wir gingen zum Beet und das Kind zeigte mir, dass es den Handgriff vom letzten Mal noch kannte. Es zog und drehte am unteren Ende des Karottengrüns und holte mit jeder Menge Erde die erste reife Karotte heraus.
„ oh ja eine Karotte juhu!“ rief es.
Sofort war dem Kind auch klar, dass diese Karotte in die Schüssel kam. Es war ebenso klar, dass jetzt das restliche Beet geprüft werden muss ob noch mehr Karotten reif waren. Ich setzte mich diesmal einfach auf den Boden und sah zu. Das Kind war vertieft und grub, zog und drehte was das Zeug hielt. Es war mit Begeisterung dabei. Einige Karotten haben es nicht geschafft, aber die meisten hatten sich gut entwickelt und wir gingen mit einer vollen Schüssel zurück in die Krippe. Als wir in die Krippe zurück kamen, rief das Kind zu den anderen in den Raum: “wir haben Karotten!“ Und schon hatte ich ein paar interessierte, neugierige Kinder im Essbereich um mich herum am Tisch stehen. Ein Kind fragte „ sind das die Karotten wo wir in die Erde haben?“

Verarbeitung der Ernte

Nun kündigte ich den Kindern an, dass wir die Karotten erst waschen müssen bevor wir sie essen. Ich stellte eine Wasserschüssel auf den Tisch und legte daneben ein sauberes Tuch. Die Kinder trennten das Karottengrün ab und rieben die Karotten im Wasser sauber. Danach legten sie die gewaschenen Karotten auf das saubere Tuch. Ich schnitt die Endstücke ab.
Der Vorteil unserer Sorte war, dass man die Schale mit essen konnte. Meine ursprüngliche Idee war die Herstellung von Karottenmus als Aufstrich. Als ich sah, dass die Kinder sie direkt am Tisch roh aßen, verabschiedete ich mich von der Idee. Den Rest verarbeiteten wir zu einem Karottensaft.
Dem Karottensaft fügte ich einen Apfel und Wasser hinzu und begann mit dem pürieren. Ich fragte die Kinder, wer mal versuchen möchte.
Manche entschieden sich für ein „ ja ich“ andere machten es vom Gesichtsausdruck ihres Nachbarn nach dem Probieren des Saftes abhängig und andere wiederum bestanden darauf, dass ich zuerst probiere und dann erst sie.
Ich hatte eine ungesiebte Variante mit viel Fruchtfleisch und eine gesiebte mit weniger Fruchtfleisch. Beides kam gut an. Besonders spannend fand ich, das ein Kind die ungesiebte Variante probierte (die im nicht schmeckte) und trotzdem auch noch die gesiebte Variante probierte (die ihm auch nicht schmeckte).

Probier Portion für die Eltern

Die Kinder freuten sich, dass auch für die Mamas und Papas etwas von dem Saft im Eltern-Wartebereich zur Verfügung stand.
Nun ist das Projekt mit den Karotten beendet.
Den Kindern durch das Projekt einen unvergleichlichen Bezug zum Essen entwickeln zu lassen ist mir genauso gelungen, wie sie am Prozess partizipieren zu lassen.
Das Beet ist leer und kann neu befüllt werden.

Das Projekt ist als ein kontinuierliches zu verstehen und ich würde mich freuen, wenn es in Zusammenarbeit mit den Eltern erweitert und ausgebaut werden kann. An Ideen mangelt es nicht, wer also Interesse hat, mehr zu meinen Ideen zu erfahren und sich ebenso für den Anbau begeistert, der darf gerne auf mich zu kommen.

Nadja, Krippe Erlenstegen