Wie wir die Emotionen der Kinder wertschätzend begleiten
Wenn wir uns mit dem oben genannten Thema auseinander setzen, dann tauchen wir in ein sehr tiefes und umfangreiches Gebiet ein. Unserer Ansicht nach sind in diesem einen Thema nämlich mehrere versteckt. Das wären zum einen die Emotionen und die Wertschätzung und zum Anderen die Begleitung. Eine ganz entscheidende Rolle spielt hierbei vor allem die Erfahrung aus unserer eigenen Kindheit und Jugend. Welche Werte wurden jedem Einzelnen von uns mit auf den Weg gegeben, wie durften wir mit unseren Emotionen umgehen oder stellt Euch doch auch einmal die Frage, ob Ihr diese überhaupt zulassen durften.
Nicht selten war es (und ist es leider immer noch) häufig so, dass gerade Gefühle wie Traurigkeit, Wut, Enttäuschung, Unbeholfen- und Hilflosigkeit, Angst und noch viele mehr, im Keim erstickt werden und mit Ablenkungen versucht werden zu kompensieren. Das hat leider nahezu toxische Auswirkungen auf unsere Psyche und unseren Körper.
Nehmen wir als Beispiel das Gefühl „Wut“. In unserer Gesellschaft wird damit falsch umgegangen. Sie schien früher schon und heute auch noch, einer ungehörigen Emotion anzugehören, die man im Alltag tunlichst vermeiden und schon gar nicht erst ausleben sollte. Unter dem Deckmantel der scheinheiligen Harmonisierung im gegenseitigen Umgang miteinander, verschönern wir Sachverhalte, mildern unsere Wut mit einem witzigen Spruch oder einem Lächeln ab, denn diese spiegelt in einer Gesellschaft wie unserer, nicht das adäquate Verhalten eines sozialisierten Menschen, wie einer, welcher sich wütend zeigt.
Man kann nicht, damit einen alle mögen, nicht wütend werden. Da ist beispielsweise eine impulsive Wut, wenn sie am liebsten zuschlagen möchten- sie scheint manchmal etwas ganz Eigenes zu sein, so schnell und mächtig kommt sie uns vor. Und dann ist da aber auch manchmal diese selbstgerechte Wut, wenn Sie Ungerechtigkeit erleben oder das Gefühl haben, dass Ihnen selbst jemand Unrecht tut oder Sie jemand unfair kritisiert oder behandelt hat.
Wenn ein Kind, ein Jugendlicher oder ein Erwachsener ständig Wut unterdrückt, führt das früher oder später zu Depressionen. Entwickelt sich aus dieser lang unterdrückten Wut, eine chronische, löst diese im Rahmen einer Depression auch die Anfälligkeit für Herz-Kreislauferkrankungen und die Schwächung des Immunsystems aus. Ursache dafür, ist der permanent anhaltende Stresslevel.
Deshalb ist es uns besonders wichtig, bereits die Kleinsten auf dem Weg ihrer Emotionen offen zu begleiten und ihnen Stück für Stück Ressourcen mit auf den Weg geben, welche sie früher oder später im passenden Augenblick anwenden können. Auf diesem Weg sind wir als Erwachsene nicht nur Begleiter, sondern auch Vorbilder. Schließlich lernen Kinder am Modell. Sie spiegeln und ahmen uns nach.
Ein Beispiel was hierfür ganz passend ist, sind Eltern die tunlichst vermeiden möchten, vor ihren Kindern zu streiten. Auf Nachfrage, was der Hintergrund dieses Gedankens sei, kommt nicht selten die Antwort: „Wir möchten einfach nicht, dass unser Kind so etwas schon mitbekommt. Mama und Papa haben sich doch lieb.“
Dadurch wird ein Thema, das zum Leben dazu gehört tabuisiert. Eine dem Kind gegenüber glücklich vorgegaukelte Welt ist nicht nur Schauspielerei, sondern strengt unheimlich an, schwächt und Eure Kinder werden dennoch die unfassbare Stimmung hinter Eurer Fassade spüren. Streiten gehört im Leben dazu. Daran wachsen wir, dabei lernen wir uns selbst und unser Gegenüber immer besser kennen, lernen wo die Grenzen sind, können unseren Gefühlen Raum geben und ihnen Ausdruck verleihen. Klar sollte an der Stelle sein, dass alles im angemessenen Maß geschieht.
Was bei uns in der Praxis und ganz egal in welchem Alter, absolute No-Go-Sätze sind, zählen wir anhand von ein paar Beispielen auf. Ein Kind fährt zügig auf seinem Laufrad, plötzlich gerät sein Laufrad beim Überwinden der Bordsteinkante ausser Kontrolle, das Kind stürzt und weint. Der Erwachsene eilt dazu, hebt das Kind auf, wischt über das aufgeschürfte Knie und versucht das Kind mit den Worten: „ist doch gar nicht schlimm“ „ ist doch nichts passiert“ „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ zu trösten. Mal ganz im Ernst liebe Erwachsene. Wer von Euch hat den letzten Satz nicht auch schon selbst damals gehört. Haben Euch diese Indianer interessiert? Nein! Es tut einfach höllisch weh, man muss weinen, man muss vielleicht auch mal brüllen weil da zu dem Schmerz auch noch Frust und vielleicht längst überfällige Müdigkeit hinzu kommt, die das Fass dann zum Überlaufen bringt.
Passiert eine ähnliche Situation beispielsweise im Garten der Aqua Kita und eine Pädagogin kann im Idealfall die Situation ausgiebig beobachten, fallen alle oben gutgemeinten Sätze weg.
Statt dessen nähert sich die Pädagogin dem Kind oder das Kind kommt auf die Pädagogin zu. Es ist auch nicht selbstverständlich, dass das Kind von der Pädagogin auf den Schoß genommen oder gestreichelt wird. Denn das hängt von der Beziehung zu dem Kind ab und ob das Kind überhaupt soviel Körperkontakt in diesem Moment möchte. Die Pädagoginnen gehen dann in die Responsivität. Sie spiegeln dem Kind verbal, was sie beobachtet haben und äußern durch Mimik, Gestik und liebevolle Worte ihr Mitgefühl. Sie fragen auch beispielsweise ob und was das Kind jetzt braucht, was ihm gut tun würde. Natürlich immer in Abhängigkeit des Entwicklungsstandes und Alters des Kindes.
Einem 9 Monate alten Kleinkind die Frage zu stellen, was es jetzt bräuchte und auf eine verbale Antwort zu hoffen, wäre unangebracht, hier muss sich die Pädagogin auf ihr Gegenüber einstellen. In diesem Alter ist es von Vorteil, wenn die Beziehung zwischen der Pädagogin und dem Kind bereits etwas inniger ist, weil die Pädagogin dann Signale, Laute, Mimik und Gestik des Kindes entsprechend deuten und darauf reagieren kann. Selbst die Nuancen des Weinens kann sie dann differenzieren.
Ein anderes Beispiel in welchem es zwar nicht um Verletzungen durch Unfälle geht, jedoch den Alltag in der Krippe mitbestimmt, ist das Teilen. Nicht alle, dennoch viele von uns wurden mit dem Wert großgezogen: „Teilt immer schön miteinander und seid lieb zu einander.“ Sich um etwas streiten und raufen zu können, wurde im Keim vom Erwachsenen erstickt. Als Kind entschuldigten wir uns für Handlungen, weil es jemand so wollte, aber weder weil wir den Sinn einer Entschuldigung verstanden, noch weil wir es mit der Wut im Bauch die immer noch da war, freiwillig ausgesprochen hätten. Und was blieb? Genau die Wut!
Wenn sich beispielsweise Kinder bei uns um einen Gegenstand streiten, sind Sätze wie: „Na das ist aber nicht schön von Dir.“ „Du wirst ja wohl ein paar Steine abgeben können, schließlich sind die für alle Kinder da.“ „Das ist aber ganz schön egoistisch von Dir.“ „Jetzt kann xxx gar nicht mit den Legos spielen, das finde ich nicht in Ordnung.“ „Wenn Du keine Legosteine abgibst, dann musst Du später beim Mittagessen auch warten bis Du dran kommst.“
Stattdessen beobachten die Pädagoginnen vorerst an dieser Stelle. Das Beobachten ist deshalb so wichtig, damit sie, wenn die Situation grenzüberschreitend wird, mit den Kindern besprechen kann was sie gesehen und beobachtet hat. Sie kann durch die vorherige Beobachtung vermeiden, falsche Schlussfolgerungen auf die Ausgangslage eines Konfliktes ziehen.
Jedes Kind hat bei uns das Recht darauf, einen oder mehrere gleiche Gegenstände bei sich zu behalten. Wenn es beispielsweise die komplette Kiste mit den Legosteinen gerade für sich beansprucht und niemand anderes da mit hinein fassen darf, dann ist das in Ordnung. Das Kind darf lernen seine Grenzen zu spüren, zu äußern oder zu zeigen.
Sein Gegenüber lernt dabei, wie es sich anfühlt, eine Grenze gesetzt zu bekommen, wie es sich anfühlt, das jetzt aushalten zu müssen oder das Gefühl zu verspüren darum kämpfen zu wollen oder sich Alternativen zu suchen.
Hier könnte die Pädagogin auch eine zweite Kiste mit Legosteinen nach geraumer Zeit zur Verfügung stellen. Jedoch nicht mit dem Hintergrund, dass es bloß nicht zum Streit zwischen den Kindern kommt.
Sie müssen nicht teilen. Das tun sie freiwillig, wenn sie bereit dazu sind.
Während Eltern die Eingewöhnungen bei uns begleiten und noch mit im Raum dabei sind, werden sie zwar in einem Eingewöhnungsgespräch vorher genau darüber instruiert, wie die Verhaltensregeln für sie aussehen und doch rutscht dem ein oder anderen Elternteil an mancher Stelle heraus: „Aber sowas macht man wirklich nicht, das ist nicht schön. Guck mal jetzt ist xxx ganz traurig und weint.“
Gerade Kleinkinder wachsen in diese Gesellschaft und in die Dynamik einer Gruppe hinein. Sie wissen nicht was sie mit ihrem Verhalten bewirken. Das kommt erst mit der Zeit. Sie verknüpfen den Schmerz oder das Weinen eines anderen Kindes nicht sofort mit ihrem vorherigen Handeln. Beispiel: Ein Kind schubst ein anderes Kind, dieses fällt hin und weint. Wir möchten verstehen, worum es in der Situation geht. Wir müssen überlegen, welche vorangegangenen Situationen vielleicht noch präsent sein könnten, wie die Umstände gerade bei jedem einzelnen Kind sind.
Daher sind auch Situationen welche Eltern in der Bring-und Abholzeit zwischen Kindern flüchtig mitbekommen, eher subjektiv zu betrachten. Sie spiegeln nicht alles und schon gar nicht was vorausging.
Bei den Kindern im Vorschul- und Schulalter kann man bei der Klärung eines Konfliktes oder bei aufgebrachter Stimmung die Fragen erweitern und ruhig etwas fordernder fragen. Beispielsweise fragen wir: „Worum ging es Dir?“ „Was brauchst Du jetzt von xxx?“ „ Was hast Du als Nächstes vor?“ „Wie könntest Du Deine Aufforderung klarer formulieren?“
Beispiel für letzteres wäre, dass ein Kind vom anderen Kind möchte, dass es aufhört, in sein Heft zu kritzeln. Das Kind äußert jedoch lediglich: „Hör auf!“ Hierbei kann die Pädagogin fragen: „Mit was soll xxx aufhören?“ „Was genau soll xxx tun?“
Sätze wie z.B. „Ok das radierst Du ihm jetzt aus seinem Heft, vorher brauchst Du gar nicht meinen, dass Du früher zum Spielen raus kommst.“ „Das Heft bezahlst Du von Deinem Taschengeld.“ „Muss das sein?“ „Sag doch was Du von ihm willst, statt herum zu jammern.“
Als letztes Beispiel möchten wir noch die Bringsituation im Kindergarten und in der Krippe aufgreifen. Immer wieder können wir beobachten, dass es Kindern, die schon länger in der Einrichtung sind, auch längere Zeit am Stück schwer fällt, sich von ihrem geliebten Elternteil zu trennen. Sie halten sich an ihm fest, weinen, brüllen und zappeln. Eine Situation die für niemanden angenehm ist.
Doch wir hören von manchen Eltern Sätze, wie z.B. „Ist doch gut, alles gut, wir sehen uns doch später wieder.“ „Du bist doch schon groß, schau mal xxx und xxx sind auch schon da.“ „da musst Du doch nicht mehr weinen, das haben wir doch jetzt schon so oft gehabt.“ „Wenn ich Dich heute abgeholt habe, gibt’s auch ein Eis, versprochen, aber jetzt schön lieb sein.“
Bitte versucht solche Sätze aus Eurem Vokabular zu streichen. Sie führen zu nichts. Eure Kinder brauchen Euch. Und ja, es ist Fakt, dass nicht sie sich für die Krippe oder für den Kindergarten entschieden, sondern Ihr! Also ist es, wenn auch unbewusst und unbeabsichtigt, ein Stück weit übergriffig, die Emotionen des Kindes in diesem Augenblick zu besänftigen und zu übergehen.
Wir sind in den Verabschiedungssituationen gerne für Euch da und begleiten diese behutsam mit. Eure Kinder dürfen weinen, sie dürfen schreien und sie dürfen die Trennung von Euch in diesem Moment auch schmerzhaft empfinden. Für Euer Kind fühlt sich diese Trennung intensiver an, Euer Kind durchläuft verschiedene Entwicklungsschritte.
Dabei gehört auch dazu, dass es unterschiedliche Gefühle sowie Umgänge mit Verabschiedungen und dem Bedürfnis nach Eurer Nähe durchlebt. Ihr könnt stattdessen auf Euer Kind eingehen und z.B. sagen: „ich spüre dass Du Dich an mich klammerst und ich glaube die Trennungen fallen Dir gerade echt nicht leicht, aber ich verabschiede mich dennoch. Mir fällt es auch nicht so ganz einfach, wir sehen uns heute Nachmittag wieder.“
Hin und wieder hilft es auch, mit einer Pädagogin kurz in den Austausch zu gehen, wenn die Verabschiedung vorüber ist, um zu erfahren wie es dem Kind mittlerweile geht und ob die Pädagogin den Eindruck hat, dass der komplette Tag für das Kind zu bewältigen ist oder ob es ihm ggf. gut tun würde, ein paar Stunden früher abgeholt zu werden.
Gerne sind wir im Rahmen von Bedarfsgesprächen für Euch da, wenn es darum geht, wie Ihr die Emotionen und Gefühle Eurer Kinder wertschätzend begleiten könnt. Scheut Euch nicht davor, uns darauf einfach anzusprechen